Verschnaufpause bei Rohölpreisen
Trendwende nach unten noch nicht eingeleitet/ niedrige Heizölpreise weiterhin in Sicht
Der stetige Abwärtstrend, den die Rohölpreise seit Juni 2014 erfahren, scheint sich im Jahr 2015 nicht fortzusetzen. Während die Weltmarktpreise für Rohöl (Sorte Brent) im Dezember 2014 noch Rekordtiefs von rund 55 $/Barrel verzeichnet haben (im Juni 2014 lag der Preis noch bei 112 $/Barrel), zeichnen sich aktuell wieder Niveaus über 60 $/Barrel ab. Im April 2015 verzeichneten die Ölpreise den stärksten Wochenanstieg seit Jahren.
Ölförderung der Opec soll kurzfristig steigen
Rein fundamental, also mengenmäßig, lässt sich die Stabilisierung der Rohölpreise nicht erklären. Die Internationale Energieagentur (IEA) und die Opec (Organisation erdölexportierender Länder) haben in ihren aktuellen Monatsberichten weiterhin über einen Anstieg der Opec-Ölproduktion um rund 900 Tsd. Barrel/Tag berichtet. Nach Erhebungen der Analysten von der Commerzbank ist der Rohölmarkt aktuell um etwa 1,5 Mio. Barrel pro Tag überversorgt. Einschätzungen der IEA zufolge soll die Ölförderung der Opec kurzfristig sogar weiter steigen.
Viele US-Frackingunternehmen stehen vor Insolvenz
Für Analysten ist es vor diesem Hintergrund kaum nachvollziehbar, dass die Preisentwicklung auf dem Rohölweltmarkt derzeit nach oben gerichtet ist. Anleger bauen ihre spekulativen Netto-Long-Positionen weiter aus, was für eine positive Markteinschätzung spricht. Offizielle Begründung: Dollar-Schwäche, Anlegernot infolge niedriger Zinsen, anhaltende Kämpfe im Jemen, leichte Verminderung der US-Ölproduktion. Die könnte darin liegen, dass die amerikanische Frackingindustrie, Ölgewinnung aus Schiefergesteinsschichten, vor einem dramatischen Umbruch steht. Nach einer Prognose international tätiger Ausrüster für Erdölkonzerne sollen von 41 US-Frackingunternehmen nur die Hälfte überleben. Die anderen seien akut von Insolvenz bedroht oder würden von größeren Konzernen im Laufe des Jahres geschluckt. Die Zahl der aktiven Ölbohranlagen ist auf 703 gesunken, was dem niedrigsten Stand seit Oktober 2010 entspricht (FAZ vom 27.04.15).
Eine langfristig sinkende Ölproduktion zeichnet sich aber nicht ab. Im Gegenteil: Bis zum Jahr 2020 sollen, so die amerikanische Energiebehörde EIA, 10,6 Mio. Barrel Rohöl gefördert werden. Im vergangenen Jahr wurden rund 8,7 Mio. Barrel gefördert. Auch die Lager werden immer voller: Derzeit befinden sich knapp 490 Mio. Barrel Öl in den Tanks. Zu Jahresbeginn waren es noch 28 Prozent weniger.
Preisanstieg beim Rohöl spekulativ getrieben
Die Commerzbank-Analysten gehen vor diesem Hintergrund davon aus, dass der jüngste Preisanstieg beim Rohöl (Sorten WTI und Brent) spekulativ getrieben und nicht von Dauer ist. Insgesamt bleiben die Rohölpreise auch jetzt noch auf einem Niveau, welches rund 40 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreszeitraum liegt. Zu Beginn dieser Woche haben die Rohölpreise leicht nachgegeben. Ein Markt schwächender Unterton wird daraus noch nicht abgeleitet. Dauerhaft wird der Ölpreis sich aber nicht immun gegen negative Nachrichten zeigen können.
Wettbewerb der Mineralölhändler vor Ort beeinflusst den Heizölpreis
Auch die Heizölpreise haben kurzfristig nachgegeben auf 65,50 €/100 l (inkl. MWSt., Not. v. 28.04.15) und sich am Rohölpreis orientiert. Neben Rohölpreis, Dollarkurs und Lagerbeständen beeinflusst der Wettbewerb der Mineralölhändler vor Ort den Heizölpreis. Das sollte bei einer Markteinschätzung berücksichtigt werden. Analysten von Tescon sehen einem weiteren Rückgang der Heizölpreise entgegen. Kurzfristig sei aber eine Trendwende nach unten noch nicht eingeleitet. Die Füllung der Tanks kann noch warten.
Brigitte Braun-Michels