Kartoffelmarkt am Boden
Erträge hoch, Qualitäten unterschiedlich/ Preise weit unter Kostendeckung
Die Kartoffelernte ist in diesem Jahr hervorragend ausgefallen. Erzeuger, die über hohe Anteile "freier" Ware verfügen, machen bei der Vermarktung kräftige Verluste. Wir haben mit Kartoffelmarktexperte und Makler Joachim Tietjen, Geschäftsführer der Hansa Terminhandel GmbH, Farven, die bisherige Saison Revue passieren lassen.
![]() |
Joachim Tietjen, Geschäftsführer der Hansa Terminhandel GmbH, Farven |
Wie ist die Kartoffelernte in dieser Saison in Deutschland und Europa ausgefallen?
Joachim Tietjen: 2014 wurden in Deutschland 11,5 Mio. t Kartoffeln eingefahren, nach 9,67 Mio. t im Vorjahr. In der EU-15 kommen 45,5 Mio. t zusammen, gegenüber 41 Mio. t in 2013. Sie sollten wissen, dass in den entscheidenden Kartoffelnationen (F, NL, B, GB und D) der Anbau von Veredelungskartoffeln vorherrscht. Hier ist auch die weltweit größte Konzentration der Kartoffel verarbeitenden Industrie lokalisiert. In Deutschland weist die Verwertungsbilanz für Kartoffeln im mehrjährigen Durchschnitt ungefähr 3,5 Mio. t Veredelungskartoffeln, 2,5 Mio. t Stärkekartoffeln, 1,7 Mio. t frische Speisekartoffeln, 0,5 Mio. t Schälkartoffeln sowie 0,5 Mio. t Pflanzkartoffeln aus.
Was können Sie zu Mengen und Qualitäten bei der Veredlungskartoffel sagen?
Joachim Tietjen: Die Erntemenge übersteigt in diesem Jahr den Bedarf deutlich. Die Qualitäten sind vordergründig gut. Verarbeitungssorten mit besonders hohen Erträgen von bis zu 700 dt/ha weisen aber sehr niedrige Stärkegehalte auf. Dies könnte zu Problemen in der Langzeitlagerung führen und schlechte Rohstoffausbeuten für die Verarbeiter nach sich ziehen.
Welche Preise werden erzielt? Werden die Kosten der Erzeuger gedeckt?
Joachim Tietjen: Die Notierungen sind am Ende der Ernte extrem niedrig. Die Scheunen sind voll. Preise von 1 €/dt werden genannt, wenn die Mengen alternativen Verwertungen zugeführt werden müssen. Das ist natürlich völlig unbefriedigend für die Landwirte. Meist haben die Erzeuger Vorverträge geschlossen die, je nach dem, wann der Vertrag verhandelt wurde, irgendwo zwischen 7 und 12 €/dt erlösen. Aus Frankreich weiß man, dass bis zu 80% der Ernte unter Vertrag ist, in Belgien sollen es inzwischen auch mehr als 70% sein. Für Deutschland schätze ich den Anteil an Festpreisverträgen in diesem Jahr auf 65%. Angesichts des überversorgten Marktes wird pingelig bonitiert und viel beanstandet.
Welcher Anteil an Veredlungskartoffeln wandert in Läger?
Joachim Tietjen: Produzenten von Kartoffeln, die unter Vertrag stehen, müssen das ganze Jahr über lieferbereit sein. Insofern haben sie winterfeste Scheunen. In der Regel sind die Preise nach hinten raus höher, sodass man sich einen Lagernutzen ausrechnen kann. Für Produzenten von freiem Rohstoff sieht es so aus, dass die Preise extrem volatil sind. In einem Jahr wie diesem kosten die Kartoffeln nur einen Euro pro 100 kg. Wenn die Kartoffeln mal knapp sind, können sie bis zu 30 €/dt bringen. Einige Marktteilnehmer nutzen deshalb die Terminbörse zur Preissicherung.
Wie schätzen Sie den Marktverlauf in dieser Saison ein. Gibt es Lichtblicke? Worauf müssen sich die Erzeuger einstellen?
Joachim Tietjen: Aufgrund eines begrenzten Lagerraums werden die Preise vorerst sehr niedrig bleiben. Landwirte versuchen ihre Übermengen fast zu jedem Preis loszuwerden. Insbesondere Partien, die eine Langzeitlagerung nicht unbeschadet überstehen, drängen jetzt auf den Markt. Ich vermute, dass die Halter von vertragsfreien Kartoffeln in diesem Wirtschaftsjahr große Verluste einstecken müssen. Es sei denn, sie haben sich frühzeitig gegen fallende Preise an der Börse abgesichert. Einen kleinen Lichtblick gibt es. Sofern Futterbauern und Biogasanlagen weiter in dem Umfang wie bisher Kartoffeln verwerten, besteht im Frühjahr ein Hoffnungsschimmer. Sollten aus dem Winterlager Kartoffeln entsorgt werden müssen, könnte das die Preise am Ende der Saison zusätzlich beflügeln.
Wie reagiert die verarbeitende Industrie auf die guten Ernteergebnisse?
Joachim Tietjen: Die Kartoffel verarbeitende Industrie, insbesondere belgische Fabriken, feiert seit Jahren neue Absatzrekorde am Weltmarkt. Inzwischen ist die EU sogar Weltmarktführer (56,4%) bei veredelten Kartoffelprodukten und hat die USA auf den zweiten Platz (35,6%) verwiesen. Gleichzeitig wächst der weltweite Konsum von Kartoffelprodukten rasant (+7,2%). Die guten Ernteergebnisse und extrem günstige Einkaufspreise werden dazu führen, dass die EU-Dominanz in diesem Jahr noch weiter ausgebaut wird. Es hat sich aber auch im Lebensmitteleinzelhandel herumgesprochen, dass Kartoffeln billig sind. Die Preise für Kartoffelprodukte sind erst in diesen Tagen spürbar gesenkt worden. Ich erwarte, dass es schwer sein wird, schon bald wieder bessere Preise dafür zu erlösen.
Gibt es Rückschlüsse aus dieser Saison für das Vermarktungsverhalten der Erzeuger zur kommenden Saison?
Joachim Tietjen: Der Kartoffelmarkt ist sehr volatil, also schwankend. Landwirte mit einem hohen Anteil an freier Ware sind in dieser Saison, zu Deutsch, in den "Hintern gekniffen". Der niedrige Preis wird sich, meinen Erfahrungen nach, in die nächste Saison ziehen. Hohe Preise halten sich in Durchschnitt 1,5 bis 2 Jahre. Für niedrige Preise gilt das im Umkehrschluss genauso. Ich erwarte, dass Kartoffelbauern ihre Einkommens- und Absatzsicherheit weiter mit Festpreisverträgen sichern werden. Die Gebote der Industrie fallen aber in dieser Saison sehr viel niedriger aus. Da auch die Preise für freie Kartoffeln Verluste einbringen, dürfte die Kartoffelanbaufläche um mehr als 10% eingeschränkt werden. Der französische Anbauverband fordert sogar eine Flächeneinschränkung von 15%. Das verknappt den Markt und schafft wieder Luft für bessere Preise.
Herr Tietjen, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Brigitte Braun-Michels.